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Die Geschichte der Handarbeitstechniken

 

Es gibt viele verschiedene Handarbeitstechniken, von denen ich euch einige nennen und in einen zeitlichen Kontext einordnen möchte. Dazu gleich vorab: Zu keiner Handarbeitstechnik lässt sich genau sagen, wann und wo sie entstanden ist. Leider werden selten handgearbeitete Textilien bei Ausgrabungen gefunden, wenn überhaupt Fragmente, da Textilien über die Jahrhunderte verwittern.

 

Eine sehr alte Technik ist das Nadelbinden. Hierfür wird Garn aus 100 % Schurwolle (Filzwolle, Dochtwolle) verwendet. Die ältesten nadelgebundenen Funde stammen aus Israel (6500 v. Chr.) und Dänemark (5600-4000 v Chr.). Die fertigen Stücke ähneln optisch sehr Gestricken, weshalb gestrickte Textilfragmente oft mit nadelgebundenen verwechselt werden. Das Nadelbinden war über Jahrtausende eine weltweit verbreitete Technik, die nur mündlich überliefert wurde. Regional wurden verschiedene „Stiche“ angewendet, die heute nach ihren Fundorten benannt sind, wie z.B. der Oslostich. Mit dem bekannt und beliebt werden neuerer Handarbeitstechniken ist das Nadelbinden aber seit 1550 fast komplett aus Deutschland verschwunden.

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Grundmuster Nadelbinden

 

Auch beim Stricken ist unklar, wann und wo es entstanden ist. Aus den Jahren 300 (Deutschland) und 500 n. Chr. (Frankreich) gibt es potentielle Stricknadelfunde - allerdings könnte es sich dabei z.B. auch um Haarnadeln handeln. Die ältesten Gestrickfragmentfunde stammen aus dem 7.-9. Jh. (Ägypten). Es gibt die Theorie, dass das Stricken ursprünglich aus Arabien kommt und im 8. Jh. über mediterrane Handelsrouten nach Spanien gebracht wurde, von wo aus es sich dann in ganz Europa verbreitete und schließlich mit den Kolonisten bis nach Amerika gelangte. Eine weitere Theorie besagt, dass das Stricken aus dem Nadelbinden entstanden ist. 1268 wird Stricken das erste Mal gewerblich erwähnt (Pariser Stricker Gilde) und das deutsche Wort „Stricken“ ist 1495 erstmals belegt.

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Vorder- und Rückseite eines Gestricks im Grundmuster „glatt rechts“

 

Eine Technik, die die wenigsten von euch kennen werden, ist das Stickbreyen (= Stockstricken). Diese Technik wird nur mündlich in Ostfriesland und den Niederlanden weitergegeben. Ich selbst habe diese Technik 2021 in einem Handarbeitskurs auf Langeoog gelernt und auch in Norden wird der Kurs angeboten. Mit dieser Technik haben sich die Fischer früher dicke Fäustlinge aus 100 % Schurwolle gebreyt. Dafür benutzen sie einen selbstgeschnitzten „Stickje“ (z.B. bei der Kursleitung oder im Dörpmuseum Münkeboe zu erwerben). Meist wird in Runden gebreyt, was auf der Innenseite wie beim Nadelbinden zu einer strickähnlichen Optik führt. Im Internet findet man zu dieser Technik leider fast gar nichts, allerdings ist mir bei meinen Nachforschungen  zu diesem Artikel aufgefallen, dass es sich wahrscheinlich um die gleiche Handarbeitstechnik handelt, die andernorts auch unter den Namen Shepherd’s Knitting, Slip-stitch Crochet, Bosnian Crochet und Pjoning bekannt ist. Umstritten ist, ob das Shepherd’s Knitting eine Unterart des Häkelns ist oder ob das Häkeln aus dem Shepherd’s Knitting entstanden ist. Nachweislich bekannt ist diese Technik seit dem 18. Jh.

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Vorder- und Rückseite des Grundmusters beim Stickbreyen in Runden

 

Auch beim Häkeln gibt es verschiedene Theorien. Eine davon ist, dass das Häkeln schon vor langer Zeit auf allen Kontinenten konvergent entwickelt wurde. Eine Vortechnik des Häkelns, eine Kombination aus Häkeln und Weben, soll zur Fertigung von Jagdnetzen in Ägypten (leider keine Zeitangabe) benutzt worden sein und auch mittels Fingerhäkeln sollen Netze und Taue z.B. von Fischern gefertigt worden sein (ebenfalls keine Zeitangabe). Das deutsche Wort „häkeln“ (= mit Haken fassen) ist seit Ende des 17. Jh. bekannt. Ob es sich da aber schon auf die Handarbeitstechnik bezog, weiß man nicht. Die nachweislich erste Häkelanleitung entstand 1823 in den Niederlanden.

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Grundmuster beim Häkeln (feste Maschen) in Reihen

 

Die Namensherkunft des Tunesisch Häkelns ist fraglich, da die Technik keinen nachweislichen Ursprung in Tunesien hat. Ein weiterer Name dieser Technik lautet Afghanisch Häkeln, was vom englischen Wort „afghan“ abgeleitet worden sein kann. Hierbei handelt es sich um einen bestimmten Typ Decke, meist gestrickt oder gehäkelt, der seit dem 19. Jh. so genannt wird. Am passendsten für diese Handarbeitstechnik finde ich daher die Bezeichnung Sträkeln (= Stricken & Häkeln). Obwohl es sich beim tunesischen Häkeln um eine Unterart des Häkelns handelt, sprechen die Technik und das Aussehen des Grundmusters klar für einen Mix aus Stricken und Häkeln. So lässt sich beim Arbeiten z.B. leicht vom Häkeln ins Tunesische Häkeln und weiter ins Stricken wechseln. Vergleicht man deren Grundtechniken, so ist das Tunesisch gehäkelte Textil dicker als das gestrickte und dünner als das gehäkelte. Aber auch beim Sträkeln gibt es Muster, die dem glatt rechts gestrickten optisch sehr ähneln. Andernorts kennt man Sträkeln auch unter den Namen Tricot Stitch, Scotch Knitting, Princess Frederick William Stitch, Princess Royal Crochet Stitch, aber auch Shepherd's Knitting (???). Nachweislich existiert das Sträkeln seit dem 19. Jh.

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Grundmuster beim Tunesisch Häkeln

 

Beim Knooking (= knit & hooking) handelt es sich wohl wirklich um eine sehr junge Technik, denn diese existiert vermutlich erst seit dem 20. Jh. Im Deutschen wird auch diese Handarbeitstechnik gerne mit dem Wort Sträkeln übersetzt, da man im wahrsten Sinne des Wortes mit der Häkelnadel strickt. Erfunden wurde diese Technik wahrscheinlich speziell für Häkler*innen, die sich evtl. nicht ans Stricken trauen, aber ein gestricktes Maschenbild erzeugen möchten. Und tatsächlich lässt sich auf diese Weise genau der gleiche Fadenverlauf wie beim Stricken erzeugen, nicht nur die Optik. Allerdings ist meine persönliche Meinung, dass das Knooking viel aufwändiger ist als das tatsächliche Stricken (wenn man es kann), weshalb ich nach einem fertig gestellten Projekt die Finger davon lassen werde.

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im Vergleich: Stickje, Häkelnadel, Tunesische Häkelnadel mit Seil und Knooking Nadel

 

Das ist er nun, der aktuelle Wissensstand zur Geschichte der Handarbeitstechniken, soweit ich ihn im Internet recherchieren konnte. Dabei können im Text durchaus Fehler enthalten sein, da es im Internet nicht sehr viele Seiten zu diesem Thema gibt und wenn, fast nie Quellen genannt werden. Falls ihr Genaueres wisst, schreibt es mir gerne, am besten mit Quellenangabe, dann passe ich es im Artikel an.

 

Ich bezweifle auch, dass eine simple Technik, wie z.B. das Häkeln von Luftmaschen, erst so viel später erfunden worden sein soll als das Nadelbinden. Dagegen spricht meiner Meinung nach auch die sehr wahrscheinliche konvergente Entstehung des Häkelns. Ich kann mir gut vorstellen, dass auch andere Techniken mehrfach unabhängig an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten entstanden sind und sich mit dem Handel verbreitet und vermischt haben - was für die Vielzahl an verschiedenen „Stichen“ und Mustern sprechen würde. Welche Technik wirklich wann und wo entstanden ist, kann zurzeit niemand genau sagen, da alle Handarbeitstechniken zunächst über einen sehr langen Zeitraum nur mündlich weiter gegeben wurden, sich mit den Jahr(hundert)en weiterentwickelt haben und wir somit für eine genauere zeitliche Einordnung von weiteren Textilfunden abhängig sind.

 

Es gibt aber noch viel mehr Handarbeitstechniken, die z.T. noch viel älter sind, wie das Knüpfen/Knoten (seit 500.000 a), Flechten (seit 30.000 a), Weben (seit 32.000/27.000 a), Nähen (seit über 11.650 a), Spinnen (6000 v. Chr.), Sticken (5.-3. Jt. v. Chr.), Brettchenweben (3. Jt. v. Chr.),  Filzen (2600 v. Chr.), Makramee/Zierknoten (900-609 v. Chr.) und Klöppeln (16. Jh.). Falls ihr zu diesen Techniken geschichtliche Fakten kennt oder weitere Techniken, die vom Aussterben bedroht sind, erzählt mir gerne davon und ebenfalls bitte mit Quellenangaben.

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Über mich
Ich heiße Dana, bin Zoologin, Bastelbuchautorin, Natur- und Katzenliebhaberin.
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